Die GEAS-Reform des EU-Parlaments

Von Janick Pfitsch

Das EU-Parlament plant aktuell eine Reform des GEAS, des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Damit droht die faktische Abschaffung des Menschenrechts auf Asyl. Die Innenminister*innen der EU-Mitgliedsstaaten werden darüber am 8. Juni abstimmen. Die Bundesregierung will den Plänen zustimmen.

Was genau ist geplant?

Zum einen sollen Asylverfahren künftig direkt an den EU-Außengrenzen als Grenzverfahren durchgeführt werden. Dabei soll die sogenannte „Fiktion der Nichteinreise“ angewendet werden. Dabei gelten Menschen, die faktisch auf europäischem Boden sind, rechtlich als nicht eingereist. Um diese Fiktion umsetzen zu können, werden die Menschen solange eingesperrt. In Haft soll dann ihr Asylgrund geprüft werden. Ob und wie dabei Mindeststandards eines fairen Verfahrens gewährleistet werden ist aktuell mehr als fraglich. Anschließend werden sollen die Menschen gegebenenfalls ohne, dass sie rechtlich in die EU eingereist sind, direkt wieder abgeschoben werden.

Zum anderen sollen die Anforderungen an sogenannte „sichere Drittstaaten“ gesenkt werden. Dabei soll geprüft werden, ob es nicht ein außereuropäisches Land gibt, das aus der Sicht Europas für die Geflüchteten „sicher“ sei. Findet Europa solch ein Land, sollen die Geflüchteten dorthin abgeschoben werden, ohne dass ihr Asylantrag überhaupt geprüft wird. Die Anforderungen, was als „sicher“ gilt, sollen mit der Reform massiv gesenkt werden. Geflüchtete sollen nach den Plänen der EU sogar in Länder abgeschoben werden, in denen sie noch nie waren oder in denen sie keinen Zugang zum Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention haben. Außerdem besteht die Gefahr, dass sogenannte „sichere Drittstaaten“ die Geflüchteten einfach in Herkunftsländer wie Syrien oder Afghanistan weiter abschieben.

Seit dem EU-Türkei Deal von 2016 werden in Griechenland schon regelmäßig ohne Prüfung der Asylgründe Asylanträge mit Abschiebebescheid in den „sicheren Drittstaat Türkei“ abgelehnt. Der deutsche „Asylkompromiss“ von 1993 war Vorreiter für die „Drittstaatenregelung“. Nach rassistischen Progromen in Rostock-Lichtenhagen und Mölln entschieden die CDU/CSU, SPD und FDP damals, das deutsche Grundrecht auf Asyl einzuschränken: Menschen, die aus einem Drittstaat einreisten, der aus der Sicht Deutschlands als „sicher“ galt, durften sich nicht mehr auf das Asylrecht für politisch Verfolgte berufen.  Auf Nazis, die das Sonnenblumenhaus in Rostock, ein Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter*innen in Rostock Lichtenhagen mit Molotowcocktails in Brand steckten, reagierte die Bundesregierung damals mit Einschränkungen des Grundrechts auf Asyl. Noch während der Ausschreitungen erklärte der damalige Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommerns Berndt Seite (CDU): „Die Vorfälle der vergangenen Tage machen deutlich, dass eine Ergänzung des Asylrechts dringend erforderlich ist, weil die Bevölkerung durch den ungebremsten Zustrom von Asylanten überfordert wird.“

Die aktuelle Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag noch folgendes geschrieben:

„Wir setzen uns ein für eine EU, die ihre Werte und ihre Rechtsstaatlichkeit nach innen wie außen schützt und entschlossen für sie eintritt“ (S. 131).

„Wir wollen einen Neuanfang in der Migrations-und Integrationspolitik gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird“ (S. 137).

„Asylverfahren müssen fair, zügig und rechtssicher ablaufen“ (S. 139).

„Wir wollen bessere Standards für Schutzsuchende in den Asylverfahren und bei der Integration in den EU-Staaten“ (S. 141).

„Wir wollen die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen beenden“ (S. 141).

„Der Asylantrag von Menschen, die in der EU ankommen oder bereits hier sind, muss inhaltlich geprüft werden“ (S. 141).

Jetzt wollen sie einer weiteren Entkernung der Rechte von Geflüchteten zustimmen!

Als Horst Seehofer vor 8 Jahren Transitzonen an den Grenzen Deutschlands einrichten wollte, in denen Grenzverfahren durchgeführt werden sollten, ähnlich wie sie jetzt an den EU-Außengrenzen geplant sind, konnte er das nicht durchsetzen, weil aus der SPD noch Stimmen kamen wie: Die Zentren „mit haftähnlichem Charakter“ seien „für Sozialdemokratien ein No-Go“ (Hannelore Kraft 2015). Während sich die Ampelregierung  „Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ (Koalitionsvertrag 2021) nennt und sich einen menschenfreundlichen Anstrich gibt, hören wir heute:

„Jörg Münchenberg: Die FDP fordert jetzt schon neue Grenzzäune an den EU-Außengrenzen. Können da die Grünen wirklich mitgehen?
Robert Habeck: Ich möchte ein bisschen abschichten, aber die Antwort ist ja.“ (Deutschlandfunk 2023).

Die Pläne der Bundesregierung machen uns unfassbar wütend! Ist der menschenfreundliche Anstrich, den ihr euch gebt, nur Fassade?

Wir fordern:

  • Keine verpflichtenden Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen!
  • Keine Absenkung der Anforderungen an „sichere Drittstaaten„!
  • Keine Weiterführung des gescheiterten Dublin-Systems!
  • Keine Zustimmung zu den geplanten Asylrechtsverschärfungen innerhalb der EU! Nancy Faeser: sei kein Horst!

Die eben durch die New York Times veröffentlichten lückenlosen Videos eines Pushbacks in Griechenland zeigen wieder einmal, dass Europa sich einen Dreck um eigene und internationale Gesetze schert. Dennoch ist eine weitere Legalisierung der Abschottung dramatisch, weil jede weitere Verschärfung des Asylrechts eine weitere Normalisierung der Abschottung und eine schrittweise Ausweitung des Mach- und Sagbaren bedeutet. Jede Verschärfung öffnet die Tür für die nächste.

Shame on EU!

Quellen:

  • Deutschlandfunk (2023): Wirtschaftsminister Habeck. Gebäudeenergiegesetz „Meilenstein in der deutschen Klimapolitik“.
  • New York Times (2023): Video Shows Greece Abandoning Migrants At Sea.
  • Pro Asyl (2023a): Alarmierende Reformvorhaben zum europäischen Asylsystem: Menschenrechte geraten unter die Räder.
  • Pro Asyl (2023b): Das Ende vom Flüchtlingsschutz in Europa? Die Gefahr von „sicheren Drittstaaten“.
  • SPD, Bündnis 90/Die Grünen & FDP (2021): Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FPD.
  • Spiegel (2015): Seehofer zur Flüchtlingspolitik. „Das war jetzt kein Ultimatum“.
  • taz (2022): Der „Asylkompromiss“ von 1993. Tiefe Einschnitte ins Grundrecht.

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